Centovalli, das Tal der 100 Täler... Diese abwechslungsreiche Bahnfahrt führt die Fahrgäste von Domodossola in Richtung Locarno. Doch zuerst gibt es einige Höhenmeter zu überwinden. Die Schmalspurbahn kämpft sich durch den dichtbewaldeten Talkegel vom Valle Vigezzo auf das Höhenplateau von S. Maria Maggiore hinauf. In Camedo wird die Landesgrenze überfahren und die Reise führt durch das herrliche Centovalli. Vorbei an Intragna und seinem höchsten Kirchturm des Kantons gelangt der Zug nach Ponte Brolla. Anschliessend verschwinden die Gleise im Untergrund und führen zum Bahnhof von Locarno, wo diese wunderbare Reise ihr Ende findet.
620, Domodossola-Re-Camedo-Locarno
Ausgangspunkt dieser interessanten Bahnfahrt ist die italienische Ortschaft Domodossola. Die im nördlichen Piemont liegende Stadt ist von Brig mit der Bahn via den 1906 eröffneten Simplontunnel (145) sowie mit dem PostAuto (12.631) über den 2`005 Meter hohen Simplonpass erschlossen. Der Bahnhof der Centovalli Bahn liegt ein Stockwerk tiefer unter jenem der SBB. Von hier sieht der Fahrplan seit 2023 ein durchgängigen Stundentakt auf der internationale Strecke Domodossola - Locarno vor.
Die Strecke wird gemeinsam von den beiden Eisenbahngesellschaften, der italienischen Società subalpina di imprese ferroviarie (SSIF) sowie der schweizerischen FART betrieben. So führt die Reise aus dem unterirdischen Bahnhof von Domodossola hinaus und an den Remisen und Lokdepots der SSIF vorbei. Anschliessend führt das Bahngleis durch den ebenen Talboden nach Masera. Nach dem Abwarten des Gegenzuges kann die eigentliche Bergstrecke nun in Angriff genommen werden. Mit einer maximalen Steigung von 60 Promille schlängelt sich die Zugskomposition in Richtung Trontano hinauf.
Es gilt über 500 Höhenmeter zu überwinden, die ohne Zahnrad, dafür mit vielen Kehren bewältig werden. Die engsten Kurvenradien betragen dabei lediglich 50 Meter. Neben der herrlichen Landschaft, welche am Fenster vorbei zieht, hat man auch einen grandiosen Ausblick in das Toce-Tal hinunter. So kämpft sich der Zug mit vielen Kurven von 270 auf 816 Meter hinauf. Nachdem das kleine Bergdorf Tronato passiert wurde, verläuft die Strecke immer tiefer ins Valle Vigezzo hinein. Der folgende Abschnitt ist von einem dichten Wald geprägt.
Während das Eisenbahntrasse an der rechten Talseite entlang führt, sind die Strasse und die wenigen Dörfer auf der linken Seite angesiedelt. Dementsprechend führt die Reise ohne grössere Zwischenhalte nach Druogno. Hier öffnet sich das Tal und ein dichtbesiedelter Talboden kommt zum Vorschein. Der nächste Halt befindet sich in S.Maria Maggiore, dem Hauptort des Vigezzo Tals. Zugleich befindet sich hier auch der höchste Punkt der Reise. Nach dem Abwarten des Gegenzuges kann die Fahrt in Richtung Locarno weiter gehen.
Der nächste Bahnhof befindet sich in Malesco, einem Vorort von S.Maria Maggiore. Anschliessend verengt sich das Tal wieder und der Zug tuckert weiter in Richtung Osten. Am Fenster zieht eine herrliche, von vielen Arven geprägte Landschaft vorbei, die auch in Amerika anzutreffen wäre. Ziemlich genau in der Mitte der Strecke Domodossola-Locarno liegt der Wallfahrtsort Re. Es gibt übrigens in ganz Italien nur drei Gemeindenamen, welche wie Re aus nur zwei Buchstaben bestehen. Die Eisenbahnstrecke schlängelt sich nun an der dichtbewaldeten linken Talseite entlang in Richtung Grenze.
Ribellasca ist die letzte Ortschaft auf italienischem Staatsgebiet bevor der Zug am Bahnhof von Camedo einfährt. Neben dem, dass man sich nun auf Schweizer Boden befindet, hat auch das Tal seinen Namen geändert. Aus dem Valle Vigezzo wird das Centovalli, was übersetzt so viel wie 100 Täler heisst. Auf der Schweizer Seite ist dann auch die Ferrovie autolinee regionali ticinesi, kurz FART für den Betrieb zuständig. Dies geht einem Staatsvertrag von 1917 zugute. Diese bietet neben den internationalen Verbindungen
auch halbstündliche Regio-Züge zwischen Locarno und Camedo an. Das aus dem Jahre 1923 stammende Eisenbahntrasse schlängelt sich oberhalb des kleinen Lago di Palagnedra entlang, zur gleichnamigen Ortschaft. Nach einem kurzen Halt tuckert der Zug weiter in Richtung Intragna. So führt die Reise mitten durch das wunderschöne Centovalli. Das dicht bewaldete und tief eingeschnittene Tal, welches von der Melezza durchflossen wird, ist neben der Eisenbahn auch mit einer sehr engen und kurvigen Fahrstrasse erschlossen.
Die umliegenden Berge haben hier eine Höhe von bis zu 2`000 Metern. Das schmalspurige Trasse führt nun an der felsigen Bergflanke entlang, durch zahlreiche Tunnels und über einige Brücken, welche tiefe Schluchten überwinden. Vorbei an den kleinen Ortschaften Verdasio und Corcapolo gelangt der Zug nach Intragna, der grössten und letzten Ortschaft im Centovalli. In der 900 Seelen Gemeinde steht der höchste freistehende Kirchturm vom ganzen Kanton. Der Campanile der Kirche San Gottardo misst eine Höhe von 65,114 Metern.
Intragna ist zudem Ausgangspunkt einer Seilbahn, welche über den Weiler Pila nach Costa hinauf führt. Weiter zweigt hier auch das mit der PostAuto Linie 60.324 erschlossene Onsernone Tal ab. Kurz nachdem der Bahnhof verlassen wurde, überquert die Centovalli Bahn den Isorno Fluss, welcher zuhinterst im Valle Onsernone entspringt. Dies geschieht mit einem eindrücklichen Bauwerk. Die drei gelenkige Bogenstahlbrücke, welche aus dem Jahre 1923 stammt, überspannt in 82 Meter Höhe das Isorno-Tobel. Anschliessend führt die Eisenbahnstrecke
an der linken Talseite entlang zur Ortschaft Cavigliano. Mittlerweile hat sich ein weiter, gut besiedelter Talboden geöffnet. Auf der schmalspurigen Centovalli Bahn kommen heute nur noch Triebzüge zum Einsatz. Während im internationalen Verkehr vor allem die im Jahre 2007 neu beschafften SSIF-Panoramatriebzüge zum Einsatz kommen, setzt die FART für die Regio Züge auf die Gelenktriebwagen ABe 4/6 mit Baujahr 1992. Doch zurück zur Reise, diese führt weiter zum Bahnhof Ponte Brolla. Hier mündet die im Maggiatal entsprungene Maggia in die Melezza und fliesst in Richtung Lago Maggiore.
Die Schmalspurbahn tuckert nun am Fluss entlang zum Haltepunkt S. Martino. Kurze Zeit später verschwinden die Eisenbahngleise im Tunnel. Bis zur Eröffnung des U-Bahn ähnlichen Tunnels 1990 musste sich der Zug durch den dichten Stadtverkehr von Locarno zum Bahnhof zwängen. Jedoch war die unterirdische Linienführung nicht ganz einfach und verschlang neben sieben Jahren Bauzeit auch rund 130 Millionen Schweizer Franken. Immerhin halten die Regio-Züge an den neu errichteten Haltestellen Solduno und S. Antonio
und ermöglichen für die Vororte von Locarno eine schnelle Verbindung ins Zentrum. Schliesslich fährt der Zug nach knapp zwei stündiger Fahrzeit im Bahnhof von Locarno ein. So endet diese Reise gleich wie sie begonnen hat - im Untergrund. Die Rolltreppe führt einem schliesslich hinauf auf den Bahnhofsplatz und somit zurück ans Tageslicht. Nun lädt Locarno zum Verweilen ein. Sei dies bei einer Gelato am Lago Maggiore, beim Schlendern durch die Gassen oder bei einem Aperitivo auf der Piazza Grande. So lässt sich dieser Tag wunderbar ausklingen…
AB DOMODSSOLA:
12.631, Domodossola-Gondo-Simplonpass-Brig
AB LOCARNO:
3600, Locarno-Ascona-Brissago (Schiff)
3631, Locarno-Magadino (Schiff)
63.312, Locarno-Contra-Mergocia
62.321, Locarno-Tenero-Sonogno
62.324, Locarno-Intragna-Russo-Spruga
Last Update: 12.11.2024
Zuletzt gereist: 29.03.2024